Heilen mit dem Geist - Meditation - Achtsamkeit - Kraft der Gedanken


Auszug: Spiegel online 21/2013 18.05.2013

Heilen mit dem Geist

Hirnforscher entdecken, wie die Seele die Biologie des Körpers verändert und ihm helfen kann, Erkrankungen zu überwinden. Meditieren, Yoga und positives Denken, lange als Esoterik abgetan, erobern die Schulmedizin.
Die Erleuchtung begann mit einer Rosine. Der Mann auf dem Stuhl stellte sich gerade vor, er sei vom Mars gelandet und habe noch nie eine gesehen. Dann wurde ihm eine getrocknete Weinbeere gereicht. Er betrachtete die schrumpelige Frucht von allen Seiten, drückte sie zusammen, hielt sie unter die Nase, roch ihren süßen Duft und schob sie in den Mund.
Es war der Start einer ungewöhnlichen Therapie an der Universität Tübingen: 22 Frauen und Männer meditierten gemeinsam, um ihre Depressionen zu besiegen. Der Mann auf dem Stuhl, Thomas Schröder(*), hatte zuvor drei Krankheitsphasen erlebt, die so schwer waren, dass er wochenlang nicht aus dem Haus ging.
Das Grübeln, das ihm jede Lebenslust raubte, wollte Schröder, ein schwäbischer Familienvater, nie wieder erleben. Kein Rückfall mehr, das war das Ziel der Studie. Schröder und die anderen Probanden lernten acht Wochen lang sanfte Yoga-Übungen sowie die Achtsamkeitsmeditation, die mit der Rosinen-Übung begann: Wie ist es, wenn ich eine Rosine sehe, fühle, rieche, schmecke?
Schröder und die anderen versuchten, das Hier und Jetzt ganz bewusst zu erfassen. Was sie dabei empfanden, das sollten sie nicht bewerten, sondern offen und neugierig betrachten. Sie meditierten einmal pro Woche in der Gruppe und an den anderen Tagen jeweils 45 Minuten zu Hause.
Anfangs hatte Schröder, ein promovierter Arzt, seine Zweifel: Er fühlte sich der reinen Schulmedizin verpflichtet. Mit Meditation hatte er sich nie beschäftigt. Nun saß er im Lotossitz und dachte: Was mache ich hier?
Doch je länger er die Arbeit mit dem Geist betrieb, desto besser gefiel sie ihm. "Es war die beste Rosine meines Lebens", sagt Thomas Schröder, 43, heute. Der Mediziner arbeitet wieder in seinem alten Job als Produktmanager einer Firma für Krankenhausbedarf.
Er braucht keine Medikamente mehr - er meditiert jeden Tag.
Was ihm da widerfahren ist, das hat Schröder unlängst im Fachblatt "Psychiatry Research" nachgelesen, in dem die Studie veröffentlicht wurde: Die Meditation hat die Biologie seines Gehirns verändert.
Die federführenden Psychologen Vladimir Bostanov und Philipp Keune haben das entdeckt, indem sie das Gehirn der Probanden vor und nach dem Meditationskurs neurophysiologisch untersuchten. Sie spielten ihnen bestimmte Töne vor und maßen die elektrische Aktivität der Hirnzellen. Das Ergebnis: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe reagierte das Gehirn nach dem achtwöchigen Meditationskurs deutlich stärker auf die akustischen Reize. Es hatte gelernt, nicht mehr andauernd zu grübeln - und brachte die frei gewordenen Ressourcen den Tönen entgegen.
Die Messkurven des Elektroenzephalogramms passen wunderbar zu den Erfahrungen Schröders und der anderen Studienteilnehmer. Viele von ihnen können endlich wieder klar denken. "Das Meditieren hilft den Patienten, ihre Aufmerksamkeit zu steuern", sagt Keune, 32. "Dadurch verlieren sie sich weniger häufig in negativen Gedanken."
Wie Keune erforscht auch die Psychologin Bethany Kok, 29, die Heilkraft des Geistes. Die US-Amerikanerin untersucht den sogenannten Vagusnerv. Der läuft vom Hirnstamm den Hals entlang durch die Brusthöhle bis zu den Eingeweiden und endet in vielen Verästelungen (sein Vagabundieren hat ihm den Namen "Vagus" eingebracht). Er versorgt die äußeren Gehörgänge, den Schlund, den Kehlkopf, die Lunge, den Magen, den Darm und das Herz.
Beim Einatmen schlägt das Herz oftmals etwas schneller als beim Ausatmen. Dieser Unterschied ergibt den Spannungszustand des Vagusnervs. Ein hoher Tonus bürge für eine geregelte Verdauung, sagt Bethany Kok, und helfe beim Orgasmus. Auch sei er unverzichtbar für soziale Kontakte. Der Blick in die Augen, das einfühlsame Lächeln und das zustimmende Nicken - all das laufe ebenfalls über den Vagusnerv.
Wäre es nicht großartig zu erfahren, wie man den Tonus dieses Tausendsassas erhöhen kann? Zusammen mit Kollegen der University of North Carolina in Chapel Hill unternahm Kok ein Experiment: Neun Wochen lang notierten 65 Frauen und Männer jeden Abend auf einem Fragebogen die guten und die schlechten Gefühle und Erlebnisse des Tages. Zusätzlich dazu absolvierte die Hälfte von ihnen einen Meditationskurs, in dem sie lernte, Gefühle wie Liebe, Wohlwollen und Mitgefühl hervorzubringen.
Das Ergebnis hat die Gruppe um die Psychologin Bethany Kok jetzt im Fachblatt "Psychological Science" präsentiert: Im Unterschied zur Kontrollgruppe ist der Vagotonus der Meditierenden deutlich gestiegen.
"Wer sich mit guten Gefühlen versorgt, der verbessert den Tonus des Nervus vagus", sagt Kok, die mittlerweile ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gewechselt ist. "Das wiederum ist mit guter Gesundheit verbunden - und könnte zu einem längeren Leben führen."

 

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